Ein Gespräch mit unserem Verbandsdirektor Dr. Tobias Diemer

Unsere Leiterin, Dr. Nicole Deufel, hat mit dem Direktor des Landesverbandes der Volkshochschulen in Baden-Württemberg, Dr. Tobias Diemer gesprochen.


ND: Lieber Herr Diemer, Sie waren vor kurzem zu Besuch bei uns in Aalen zur Versammlung der Volkshochschulen in der Region Ostwürttemberg. Was sehen Sie als die größte Herausforderung für Volkshochschulen im Ländlichen Raum?

TD: Die größte Herausforderung sehe ich darin, dass sich die Volkshochschulen derzeit auf viele verschiedene Veränderungen gleichzeitig einstellen müssen. In der Programmplanung z.B. müssen die Volkshochschulen in immer kürzeren Zyklen aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen wie Klimaschutz, Digitalisierung, alternde Gesellschaft, steigende kulturelle Vielfalt und Ähnliches mehr aufgreifen. Gleichzeitig geht es darum, der steigenden Vielfalt in der Gesellschaft gerecht zu werden und die Inhalte und Formate so zu gestalten, dass sie viele Zielgruppen mit unterschiedlichen sozialen und kulturellen Hintergründen ansprechen. Das ist sicher nicht die einzige, aber eine der größten Herausforderungen, gerade für mittelgroße Volkshochschulen wie die vhs Aalen, die auf Grund ihrer Größe immer gut abwägen müssen zwischen der Sicherheit des Bewährten und dem Mut zu Neuem.    

Die Leiter:innen der Volkshochschulen in Ostwürttemberg, mit Verbandsdirektor.
Die Leiter:innen der Volkshochschulen in Ostwürttemberg. Dr. Nicole Deufel im grünen Jackett in der Mitte, Dr. Tobias Diemer in der zweiten Reihe, zweiter von rechts.

ND: Wir haben uns auch schon öfter darüber unterhalten, dass die Darstellung und Wahrnehmung der Volkshochschulen oft nicht der Realität entsprechen. Volkshochschulen werden von einigen als Orte belächelt, an denen „Hausfrauen stricken lernen“, wie jemand zu mir sagte, kurz nachdem ich meine Stelle hier in Aalen antrat. Woran mag das Ihrer Meinung nach liegen?

TD: Das ist leider ein Klischee, das einem immer wieder begegnet. Woher kommt das? Analytisch betrachtet ist das so zu erklären, dass hier einzelne Angebote aus dem Programm isoliert und verkürzt betrachtet und gleichzeitig übergeneralisiert werden. Das mag einem allgemeinen Hang zur Vereinfachung geschuldet sein. Problematisch ist aber, dass mit dem Klischee gleichzeitig eine Geringschätzung und Abwertung der Bildungsarbeit von Volkshochschulen einhergeht. Die Ursachen dafür liegen zu Teilen wohl in der Psychologie der jeweiligen Personen, zu Teilen sind sie gleichzeitig wohl der Ausdruck einer überholten Bildungsidee, die zwischen hoch und niedrig – ähnlich wie zwischen Hoch- und Populärkultur oder E- und U-Musik – unterscheidet.            

ND: Für Volkshochschulen sind solche Darstellungen gerade in den Medien natürlich imageschädigend und für die Mitarbeitenden auch schwer zu ertragen. Denn die Wirklichkeit sieht ja anders aus. Ich denke da nicht zuletzt an die vielen Qualitätsinitiativen des Landes- und Dachverbandes, an denen auch wir in Aalen laufend teilnehmen und uns so zu einer professionellen, innovativen Bildungseinrichtung entwickelt haben. Wie erleben Sie die Volkshochschulen des Jahres 2023?

Die Volkshochschulen sind modern, professionell und vor allem: von vielen geschätzt und gefragt.

Dr. Tobias Diemer

TD: Die Volkshochschulen sind mit ihren Angeboten auf der Höhe der Zeit, da sie konsequent an den Bildungsbedarfen und -interessen ihrer Teilnehmenden orientiert sind. Den besten Beweis dafür liefert die Statistik. Vor Corona lagen die Zahlen stabil bei jährlich über 2 Mio. Teilnahmen in Baden-Württemberg. Nach den corona-bedingten Einbrüchen bewegen sie sich derzeit wieder schnell in diese Richtung. Daneben haben die Volkshochschulen in der Corona-Pandemie den Anteil an Online-Angeboten deutlich ausgebaut. Somit kann man sagen: Die Volkshochschulen sind modern, professionell und vor allem: von vielen geschätzt und gefragt.

ND: Als die Kolleg:innen des Verbandes im Januar bei uns waren, um die Ergebnisse unserer Potentialanalyse zur agilen vhs mit uns zu besprechen, hatten wir auch eine interessante Diskussion darüber, wie die Wirkung von Volkshochschulen bewertet werden sollte. Wenn wir zum Beispiel nur nach Teilnehmendenzahlen gehen würden, wären wir als Einrichtung sicher am besten bedient, uns auf lokale Geschichte und die altbekannten Reisevorträge mit vielen Bildern zu beschränken. Damit würden wir jedoch den Menschen in unserer Stadt nicht das Bildungsangebot bieten, das es ihnen ermöglicht, ihre Zukunft zu gestalten. Worum sollte es also in Ihren Augen gehen beim Bildungsangebot der Volkshochschulen? Sollen wir Themen nicht aufgreifen, wenn nur wenige Teilnehmende zu erwarten sind?

Um Angebote mit hoher inhaltlicher Qualität und hohem Anspruch zum Laufen zu bringen, braucht es Freiräume, in denen immer wieder Neues entwickelt und erprobt und dann verworfen oder eben zum gewünschten Erfolg gebracht werden kann.   

Dr. tobias diemer

TD: Das Ziel muss natürlich sein, auch mit Themen wie Nachhaltigkeit viele Menschen zu erreichen. Gleichzeitig sollten wir uns gerade bei solchen gesellschaftspolitisch wichtigen Themen nicht rein am kurzfristigen und quantitativen Erfolg orientieren. Gerade bei diesen Themen ist es wichtig, von der gesellschaftlichen Relevanz her zu denken und Inhalte und Formate auszuprobieren, von denen man im Vorhinein nicht sagen kann, ob sie angenommen oder funktionieren werden. Natürlich muss man dann reagieren, wenn etwas nicht funktioniert. Aber man darf auch nicht zu früh aufgeben. Um hier Angebote mit hoher inhaltlicher Qualität und hohem Anspruch zum Laufen zu bringen, braucht es Freiräume, in denen immer wieder Neues entwickelt und erprobt und dann verworfen oder eben zum gewünschten Erfolg gebracht werden kann.      

ND: Herr Diemer, ich danke Ihnen für diesen interessanten Austausch.

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