Wenn man an Kulturerbe denkt, dann kommt einem Atommüll wahrscheinlich nicht gleich in den Sinn. Vergangenen Montag haben wir von Prof. Cornelius Holtorf von der Linnéuniversität in Schweden aber gehört, dass es zumindest viele Parallelen gibt:
Zum einen ist der Atommüll ganz klar etwas, das wir als „Erbe“ an nachkommende Generationen weitergeben – auch wenn wir vielleicht nicht besonders stolz darauf sind. Zum anderen hat die bloße Tatsache des Entstehens von Atommüll auch unsere Geschichte und Gesellschaft verändert. Wie Prof. Holtorf erklärte, hat die Beschäftigung mit dem Atommüll zur globalen Umweltschutzbewegung geführt. Damit kann man den Atommüll auch genauso als materielles Zeugnis dieser Vergangenheit und Entwicklung sehen wie das bei einem klassischen Denkmal der Fall ist.
Wenn Prof. Holtorf über Atommüll als Kulturerbe spricht, geht es auch um die Kompetenzen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kulturerbe. Denn diese Kompetenzen sind für den Umgang mit Atommüll zentral. Es geht nämlich um das sichere Verwahren von Materie und gleichzeitig um die Kommunikation darüber weit in die Zukunft hinein. Die Menschen der Zukunft müssen ja verstehen können, was wir ihnen hier vermachen!
Dabei ist überhaupt nicht sicher, dass unsere Nachfahren unseren Atommüll genauso bewerten werden wie wir heute. Und auch das ist eine Parallele zum Kulturerbe, sagt Prof. Holtorf. Wir können heute nicht voraussagen, wie die Zukunft aussehen wird. Vielleicht wird es neue Technologien geben, die sich den Atommüll zunutze machen können. Vielleicht wird es aber auch ganz andere Faktoren geben, die wir uns heute noch überhaupt nicht ausmalen können und die zu einer Neubewertung des Atommülls führen.
Im Gespräch mit Prof. Holtorf wurde dieser Aspekt besonders deutlich. Kulturerbe – und damit auch Atommüll – unterliegt einem sozialen Prozess. Das bedeutet, dass etwas auch aufhören kann, Kulturerbe zu sein: dann nämlich, wenn die Menschen es nicht mehr als solches einstufen. Es ist also eine Frage der Werte und der Bewertungen, die wir mit etwas verbinden.
Auch aus diesem Grund vertritt Prof. Holtorf die Ansicht, dass alle Strategien zum Umgang mit Kulturerbe Möglichkeiten einbauen müssen, um andere Bewertungen zuzulassen. Es soll nicht mehr darum gehen, die Sicherung von Kulturerbe auf ewig zu gewährleisten, ohne zu wissen, ob den Menschen der Zukunft dieses Kulturerbe überhaupt noch wichtig ist. Vielmehr wird auch das Management von Kulturerbe zu einem Prozess, der sich ständig verändert.
Zum Nachlesen: Ein Artikel aus 2018 zur Zukunftsarchäologie und (auf Englisch) ein Artikel aus 2019 zum Atommüll als Kulturerbe.
Sehr zu empfehlen ist auch das von Prof. Holtorf mit herausgegebene Buch Heritage Futures.